Das Metaverse als New-Work-Treiber

Interview: «Die Investitionen ins Metaverse haben viel Rationalität»

Das Metaverse wird viel mehr sein als eine futuristische Spielewelt, es wird auch die Arbeitswelt stark verändern. Aber nicht von jetzt auf gleich, meint Investor und VR-Spezialist Walter Ischia. Er ist Managing Partner bei MAD Ventures, das sich an IT-Start-ups beteiligt, sowie Managing Director bei Innerspace, einem Spezialisten für VR-Simulatoren.
Im Interview mit Computeworld spricht er darüber, was die Metaverse-Technologie heute schon kann – und morgen können wird.
Computerworld: Was verstehen Sie unter dem Metaverse?
Walter Ischia
Managing Partner bei MAD Ventures und Managing Director bei Innerspace
Quelle: Innerspace
Walter Ischia:
Das Metaverse ist alles, was an immersiven Technologien schon existiert und in Zukunft dazukommt und von grösseren Teilen der Bevölkerung genutzt werden wird, als das heute der Fall ist. Für Meta ist es eine Marke und eine Technologie-Vision, unter der der Konzern viele Dinge subsumieren will, die weit in der Zukunft liegen. Derzeit ist es schwierig, über ein Metaverse zu reden. Das ist ähnlich wie beim Internet vor 30 Jahren – man weiss nicht, was sich daraus entwickelt.
Computerworld: Handelt es sich dabei um einen nachhaltigen Hype oder ist das alles völlig übertrieben?
Ischia: Die Überhöhung des Begriffs geht in Richtung Übertreibung, aber grundsätzlich ist es schon so, dass die Investitionen viel Rationalität haben. Was sich massiv ändert, ist, dass sich immersive Technologien wie VR und AR aus dem Spielebereich in andere Bereiche der Gesellschaft bewegen und neue Felder in der Industrie betreten. Auf Sicht von 20 bis 30 Jahren glaube ich schon, dass wir in unserer realen Welt auf sehr viele Elemente treffen werden, die AR oder VR enthalten. Die Gaming-Studios sind die Infrastrukturbauer von morgen.
Computerworld: Das belegt auch der Kauf von Activision Blizzard durch Microsoft. Zum Thema New Work: Wie nutzt ein Unternehmen wie Innerspace bereits heute VR und AR?
Ischia: Wir sind nicht deshalb auf VR-Anwendungen gekommen, weil wir Tech-Geeks waren. Bei uns ging es um die Fragestellung, wie man verhaltensorientiertes Lernen, also etwas, das ich tun muss, als Learning by Doing umsetzen kann. Wir sind da sehr früh auf die Möglichkeiten von VR gestossen. Heute nutzen wir VR im Wesentlichen dafür, um unsere Kunden in der pharmazeutischen Produktion darin zu trainieren, Dinge zu tun, die sie in der Praxis niemals trainieren dürfen, sondern einfach können müssen. Konkret geht es darum, dass die Mitarbeiter Aufgaben erfüllen müssen, die sie derzeit nur mit theoretischen Trainings und dem Studium von Videos erlernen. Im Grunde machen wir also das, was mit einem Flugsimulator seit 30 Jahren erfolgreich funktioniert. Das Ganze ist skalierbar und kosteneffizient. Wir fokussieren uns auf Trainings, die man mit ganz normalen VR-Brillen und Standard-Controllern durchführen kann.
Computerworld: Was wären zum Beispiel solche Arbeitsschritte, die nicht in der Realität trainiert werden können, sondern nur virtuell?
Ischia: Wir trainieren Mitarbeiter etwa im Bereich der sterilen Abfüllung von Medikamenten. Da geht es um einen Reinraum, der eine hohe Sterilitätsklasse aufweist. Dort spielen Luftverwirbelungen eine grosse Rolle. Es gibt dort viele Prozesse, die nicht automatisierbar sind und eine menschliche Intervention benötigen. Wir erschaffen die Produktionslinien virtuell und zeigen Fehlerquellen und Risiken. Luft kann man in der virtuellen Realität wunderbar darstellen und simulieren, was passiert, wenn man in Luftströme eingreift. Auch im boomenden Bereich Healthcare finden grosse Investitionen statt, um zum Beispiel Operationen zu trainieren. Chirurgen lernen heute an Leichen zu schneiden. Künftig kann das vielleicht auch in VR stattfinden.
“Technologisch muss noch einiges passieren.„
Walter Ischia
Computerworld: Kommunizieren und arbeiten wir bald nur noch in einer virtuellen Realität und über Avatare oder Hologramme? Wäre das überhaupt erstrebenswert?
Ischia: Beim Aufeinandertreffen von Personen, die sich nicht am gleichen Ort befinden, wird sehr viel Nutzen entstehen. Aber wären virtuelle Meetingräume mit Hologrammen ein Mehrwert? Ich glaube es nicht, um ehrlich zu sein. Es gibt jedoch Fälle, wo das ein Mehrwert sein könnte, etwa in der Freizeitindustrie: mit drei Freunden am Nachmittag einfach mal eine virtuelle Reise unternehmen. Normalerweise werden Dinge und Techniken angenommen, die gut funktionieren. Aber wenn wir uns alle VR-Brillen aufsetzen müssen für die Kommunikation, die wir gerade führen, da hätten wir alle nichts davon.
Computerworld: Glauben Sie, dass eine grosse Zahl von Menschen noch mehr Zeit mit Technologie im Arbeitsumfeld verbringen möchte?
Ischia: Das ist eine Frage des Anwendungsbereichs.
Computerworld: Besteht für das Metaverse und somit auch für Meta Work die Chance auf offene Standards? Für Facebook/Meta sind ja die Daten der zentrale Aspekt des Geschäftsmodells. Oder steuern wir auf ein Microsoft-Metaverse, ein Apple-Metaverse und ein Meta-Metaverse zu?
Ischia: Ich würde wieder den Internetvergleich bemühen. Es wird jetzt ein Rennen geben, in dem viele versuchen, die Nase vorn zu haben und ihren eigenen Technologie-Stack zu definieren. Am Ende des Tages, wenn das Thema die Verbreitung bekommen wird, die man ihm derzeit zutraut, muss es zwangsläufig interoperable Systeme geben. Ich habe mir 1994 einen Apple-Computer gekauft, um meine Diplom­arbeit zu schreiben. Das Ding war völlig inkompatibel. Ich konnte nicht einmal Word von Apple mit Word von Microsoft austauschen. Das läuft heute komplett anders. Im Metaverse werden sicherlich Standard-Schnittstellen geschaffen werden.
“Das Metaverse wird nicht wie Kanonenschläge auf uns einprasseln.„
Walter Ischia
Computerworld: Wie sind die Metaverse-Token einzuschätzen, mit denen sich etwa virtuelle Immobilien erwerben lassen?
Ischia: Wenn sich die Vision erfüllt, dass wir uns sehr viel in virtuellen Räumen bewegen werden, dann wird es wie bei den Spielen In-App-Käufe geben. Ich bin im Metaverse unterwegs und möchte einen Service freischalten. Dann halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass man Kryptowährungen dafür einsetzt. Das hat Potenzial.
Computerworld: In Sachen Datenschutz wäre das Metaverse der GAU, oder?
Ischia: So ähnlich wie beim Internet wird man irgendwann, nachdem man es bereits 15 Jahre genutzt hat, drauf kommen, dass man vielleicht auch über den Datenschutz nachdenken muss. Da geht es auch um digitale Identitäten. Was passiert, wenn mein Avatar kriminelle Dinge tut? Was passiert, wenn mein Avatar übernommen wird? Das Metaverse wird auch völlig neue Anforderungen in Sachen Security mit sich bringen. Aber ich glaube nicht, dass das Metaverse wie Kanonenschläge auf uns einprasseln wird, sondern wir haben viel Zeit, uns all das gründlich zu überlegen.
Computerworld: Reichen die heutigen Rechnerleistungen überhaupt aus, um ein Metaverse zu generieren und Meta Work zu ermöglichen?
Ischia: Im technologischen Bereich muss noch einiges passieren, damit die immersiven Technologien einen Siegeszug erleben. Das wird enorme Kapazitäten benötigen. Wir kommen aus der Applikationswelt, da kann man ganz gut sehen, wohin die Entwicklung geht. Aber was auf der Infrastrukturseite in den nächsten zehn bis 20 Jahren passieren wird, das ist sehr vage und schwer vorherzusagen.

Andreas Dumont
Autor(in) Andreas Dumont



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