Vendor-Lock-in beim Cloud-Computing vermeiden

Dr. Carlo Velten der Crisp Research AG im Interview

Dr. Carlo Velten: CEO bei der Crisp Research AG
Quelle: Crisp Research
Carlo Velten, CEO bei der Crisp Research AG, erklärt im Interview mit com! professional, welche Abhängigkeiten beim Gang in die Cloud drohen – und warum man sich davon nicht abschrecken lassen sollte.
Computerworld: Herr Velten, wie wichtig ist das Thema Vendor-Lock-in bei der Entscheidung für oder gegen ein Cloud-Angebot?
Carlo Velten: Es spielt bei fast allen Ausschreibungen eine grosse und strategische Rolle. Ein möglichst geringer Vendor-Lock-in ist ein wesentlicher Bestandteil der sogenannten nicht-funktionalen Anforderungen.
Computerworld: Warum legen Unternehmen so viel Wert darauf?
Velten: Man muss das vor dem Hintergrund der letzten Jahrzehnte sehen, in denen es vor allem Software-Unternehmen wie Oracle oder SAP verstanden haben, Kunden sehr stark an sich zu binden. Das hat bei den IT-Verantwortlichen zu einer gewissen Vorsicht geführt. Sie wollen sich nicht in neue Abhängigkeiten begeben.
Computerworld: Halten Sie diese Furcht für nachvollziehbar?
Velten: Absolut. Es ist klug, einen möglichen Vendor-Lock-in im Auge zu behalten. Man darf das unternehmerische Risiko aber auch nicht überbewerten. Die Unternehmen müssen aufpassen, dass sie vor lauter Furcht vor einem Vendor-Lock-in nicht die Chancen verpassen, welche die Cloud bietet. Die Vorteile lassen sich ja nur dann realisieren, wenn ich die Cloud tatsächlich nutze.
Computerworld: Ist es aus Ihrer Sicht für Unternehmen empfehlenswert, auf eine Multi-Cloud-Strategie zu setzen, um die Abhängigkeit von einem Provider zu mini­mieren?
Velten: Abgesehen von den ganz grossen Konzernen können es sich die wenigsten Unternehmen leisten, zwei oder drei Expertenteams für die verschiedenen Cloud-Angebote zu etablieren. Gerade der Mittelstand sollte sich daher erst mal auf einen, maximal zwei Cloud-Provider beschränken und dafür Kompetenzen aufbauen. Nach erfolgreicher Migration der relevanten Workloads und ein, zwei Jahren Erfahrung kann man dann über eine Multi-Cloud-Strategie nachdenken.
Computerworld: Wie lassen sich Abhängigkeiten minimieren, wenn ich auf nur einen Provider setze?
Velten: Die Gefahr eines Vendor-Lock-ins lässt sich auch durch die kluge Wahl geeigneter Technologien reduzieren, die gegebenenfalls einen Umzug zu einem anderen Provider erheblich erleichtern.
Computerworld: Welche wären das?
Velten: Software lässt sich beispielsweise in Docker-Container packen und mit der Open-Source-Lösung Kubernetes verwalten. Damit ist eine Basis geschaffen, mit der sich der Vendor-Lock-in auf ein Minimum reduzieren lässt.
Computerworld: Funktioniert das mit jeder Software?
Velten: Nein, es muss sich um digitale Workloads handeln, die auf einer serviceorientierten Architektur basieren oder sogar schon in Microservices geschrieben sind. Es hat keinen Sinn,
Legacy-Applikationen in Container zu verpacken.
Computerworld: Wie bewerten Sie Serverless Computing im Hinblick auf einen Vendor-Lock-in?
Velten: Aktuell sind die Serverless-Dienste der grossen Cloud-Provider noch sehr proprietär. Wenn man eine Applikation von einem Provider zu einem anderen umziehen möchte, ist die komplette Anwendung umzubauen. Was bei einem kleinen Modul noch machbar sein mag, kann in komplexen Umgebungen schnell sehr hohe Aufwände verursachen. Daher sollten sich Unternehmen vor der Entscheidung für Serverless Computing über Migrationsmöglichkeiten und den dann gegebenenfalls notwendigen Entwicklungsaufwand Gedanken machen. Oder sie setzen gleich auf Open Source und bauen ihre Serverless-Applikation mit quelloffenen Diensten auf.
Wir empfehlen gerade grossen Unternehmen mit den entsprechenden Personalressourcen, vermehrt auf Open Source zu setzen und zu evaluieren, inwieweit frei verfügbare Lösungen nicht nur den Vendor-Lock-in reduzieren können, sondern auch helfen, Kosten zu minimieren.
Computerworld: Wenn wir gerade beim Thema Open Source sind: Lässt sich Vendor-Lock-in durch den Einsatz der Open-Source-Cloud-Lösung OpenStack vermeiden?
Velten: OpenStack ist sicher eine geeignete Lösung, um eine Pri­vate Cloud aufzubauen. Es ist aber auch sehr komplex und benötigt spezifisches Know-how. Die Hoffnung allerdings, dass sich Clouds jeder Ausprägung auf Basis von OpenStack nahtlos mitei­nander verbinden lassen, hat sich nicht erfüllt. Die meisten Public-Cloud-Angebote auf OpenStack-Basis wurden wieder eingestellt.
Computerworld: Welche Rolle spielt die Menge und Art der ver­arbeiteten Daten für einen Vendor-Lock-in?
Velten: Die Menge der anfallenden Daten ist ein ganz entscheidender Faktor, nicht nur im Hinblick auf einen Vendor-Lock-in, sondern insgesamt bei der Entscheidung für eine bestimmte Cloud-Architektur. Datentransfer kostet Zeit und Geld, daher hat es zum Beispiel wenig Sinn, auf eine Multi-Cloud-Strategie zu setzen, wenn man ständig Terabyte an Daten zwischen den Clouds hin und her kopieren muss.
Computerworld: Wie bekommt man eigentlich grosse Mengen an Daten überhaupt in die Cloud hinein – und wie bekommt man sie wieder heraus?
Velten: Bei der Migration in ihre Cloud unterstützen die Provider ihre Kunden sehr gut. Man kann Festplatten einsenden oder es kommt sogar ein Lkw, der die Daten per Kabel aus dem Rechenzentrum übernimmt. Die Daten wieder aus der Cloud herauszubekommen, kann dagegen sehr teuer werden. Deshalb ist die sogenannte Data Gravity ein wichtiger Punkt in der Cloud-Strategie eines Unternehmens.
Computerworld: Um eine solche Cloud-Strategie aufzubauen und umzusetzen, bedarf es vertiefter Kenntnisse. Wo finden gerade Mittelständler Experten für solche Aufgaben?
Velten: Fähige Cloud-Strategen mit langjähriger Erfahrung sind in der Tat Mangelware. Mittelstandsunternehmen können sich aber nicht darauf zurückziehen, dass sie kein entsprechendes Personal finden. Jede Firma mit mehr als 1000 Mitarbeitern sollte spätestens bis 2020 mindestens einen, besser zwei Cloud-Spezialisten an Bord haben.


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